Teil 2: Interview Baukultur
„Kreative Freiräume spielen eine ganz entscheidende Rolle.“
Interview mit Dr. Anne Schmedding, Leitung Stiftungsprojekte Berliner Leben, und Harald Mair, Gründer von PROJEKT PRO, über die Möglichkeiten, Herausforderungen und Chancen von Architekten bei der Förderung von Baukultur.
Beim Thema Baukultur spielen Architekten natürlich eine zentrale Rolle. Aber haben sie überhaupt die notwendigen Freiräume und Möglichkeiten? Oder ist es letztlich eine Frage von Anspruch und Wirklichkeit, ob sie es bei der täglichen Arbeit ausreichend berücksichtigen können?
Harald Mair: Man kann das nicht schwarz-weiß sehen. Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem jüngeren Architekten. Er hat die These vertreten: wenn der Bauherr das nicht will, dann machen wir es halt nicht. Aber so ist es eben nicht. Es ist die Aufgabe des Architekten, mit dem Bauherrn den besten Weg zu suchen. Es ist schon unsere Aufgabe als Architekten, dass wir gerade stehen für das, was notwendig, nachhaltig und auch baukulturell sinnvoll ist.
Dr. Anne Schmedding: Die Architekten haben im gesamten Planungs- und Bauprozess die zentrale Aufgabe, alle an einen Tisch zu bringen — vom Bauherrn zum Meister, zum Handwerker, zum Fachplaner, zum Ingenieur — und zu moderieren. Architekten sind diejenigen, die alle Bälle in der Luft halten und die Botschafter für Gestaltung sind. Da war ich in den letzten Jahren von einigen manchmal etwas enttäuscht, wenn es hieß: „Der Bauherr will das so, dann muss ich das halt so bauen.“ Die Aufgabe der Architekten ist es aber, für gute Gestaltung zu kämpfen, so schwer es manchmal auch sein mag. Sie müssen für gute Qualität im integrativen Sinne kämpfen. Die Herausforderungen, die in der heutigen Zeit dazukommen, sollten sie als Aufgabe und als Chance wahrnehmen. Sie sind diejenigen, die die Vision nach vorne bringen müssen – gemeinsam mit den anderen Akteuren am Bau.
Harald Mair: Architektur ist keine freie Kunstform. Als Architekt habe ich immer eine Vielzahl von Bedingungen Sichten, die ich berücksichtigen muss. Aber das macht es auch so spannend. Architekten laufen schon manchmal Gefahr, dass sie sich im eigenen Kreis drehen, zu wenig Macher und Unternehmer sind und dabei trotzdem empfinden, dass Sie das Richtige tun. Man muss eben auch Kommunikation und Überzeugungsarbeit in die Öffentlichkeit leisten und das erfordert eben auch eine Übersetzungsleistung für andere Zielgruppen.
Kann man Architekten unterstützen, wenn es um Baukultur geht? Also quasi die Förderung der Baukultur fördern?
Harald Mair: Kreative Freiräume spielen eine ganz entscheidende Rolle. Ich komme ja ursprünglich aus der Landschaftsarchitektur. Software entwickle ich aus der Motivation heraus, das Bauen besser zu machen und die Baukultur zu fördern. Ich möchte mit meinem Team die Architekten unterstützen, damit sie ihren Kopf frei haben, um sich mit der Qualität des Bauens und der Qualität ihrer Arbeit auseinandersetzen zu können. Deshalb sind wir auch Mitglied im Förderverein für die Bundesstiftung Baukultur. Es war schon immer unsere Intuition, Architekten und Ingenieure in dem, was sie tun, zu unterstützen.
Im Moment gewinnen Themen wie Klimawandel, Energieressourcen, Kosten, Knappheit von Baustoffen oder Facharbeitermangel zunehmend an Relevanz. Stehen die im Widerspruch zu höherer Baukultur?
Dr. Anne Schmedding: Sie begrenzen und machen es schwieriger. Es sind weitere Aspekte, die zu berücksichtigen sind und die herkömmlichen Bauprozesse stark in Frage stellen. Im besten Fall löst das einen Innovationsschub aus. Das herkömmliche Bauen wird weniger funktionieren. Die Baubranche muss in einen Innovationsprozess gehen, auf den ich sehr gespannt bin. Und das ist eben auch ein Teil der Baukultur: wir haben andere Startbedingungen als vor 20-30 Jahren. Wir müssen damit umgehen und können auch daraus gute Räume entwickeln.
Harald Mair: Nachhaltigkeit und Baukultur ist per se kein Widerspruch. Die Vergangenheit hat oft gezeigt, dass neue, ortsfremde Materialien lokale Baustoffe verdrängt haben. Die daraus entstandenen Möglichkeiten hatten nicht immer einen positiven Effekt auf die bestehende Kultur des Bauens.
Hängen Baukultur und Lebensqualität zusammen?
Dr. Anne Schmedding: Das ist in einer komplexen Wechselwirkung ganz eng miteinander verbunden. Es gibt beispielsweise einige Orte in Ostdeutschland, die nach der Wende umfangreich saniert wurden und eigentlich wunderschön sind. Aber wenn man dort auf den schönen Stadtplätzen steht, sind die wie ausgestorben. Sie werden von den Menschen einfach nicht richtig angenommen. Hier spielen dann andere Faktoren wie Wirtschaft oder Arbeitskraft eine größere Rolle für die Lebensqualität.
Durch meine neue berufliche Herausforderung hat sich meine Perspektive auf die Baukultur radikal verändert. Wir bewegen uns mit unseren Projekten vor allem in Großwohnsiedlungen der 1960er- und 1970er-Jahre. Damals waren sie teilweise sogar gut gedacht, aber für Bedingungen, die es heute so nicht gibt. Es fehlt dort zum Beispiel oft an hochwertigem öffentlichen Raum. Meist gibt es keine gute Verkehrsanbindung und man lebt dort komplett isoliert. Es gibt aber viele und teilweise auch sehr einfache Möglichkeiten, diese Siedlungen baukulturell aufzuwerten. Zum Beispiel ist der Raum zwischen den Gebäuden meist eine reine Abstandsfläche — also eine Brachfläche, toter Raum. Durch die Aufwertung dieser Räume kann man unheimlich viel erreichen, wenn man neue Funktionen anbietet oder Aufenthaltsqualität schafft. Gerade Kinder und Jugendliche halten sich sehr viel im öffentlichen Raum auf. Durch eine baukulturell, landschaftlich oder funktional gute Gestaltung kann hier ein Bildungsort für Kinder und Jugendliche entstehen. Baukultur allein kann Lebensqualität also nicht herstellen. Sie kann aber ein Treiber dafür sein.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
Dr. Anne Schmedding leitet seit 2020 die Stiftungsprojekte der Stiftung Berliner Leben. Zuvor war sie zunächst freie Mitarbeiterin und dann stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur. Gemeinsam mit Dr. Constanze von Marlin leitete sie seit 2011 das Büro schmedding.vonmarlin. für Forschung und Redaktion im Bereich jüngere Architektur- und Kunstgeschichte.
Harald Mair beginnt 1991 seine Karriere als Landschaftsarchitekt. 1992 gründet er das Unternehmen „mair pro“, unter dessen Dach er eine AVA- sowie eine Controlling-Software für Planer entwickelt und vertreibt. Das Portfolio wird im Folgenden zu einer ganzheitlichen Controlling- und Management-Lösung für Architekten und Ingenieure vervollständigt. 2013 folgt die Umfirmieren zur PROJEKT PRO GmbH, als deren Geschäftsführer Harald Mair bis heute tätig ist.
Neugierig geworden?
Dann kontaktieren Sie uns. Vereinbaren Sie Ihren persönlichen Beratungstermin mit unseren Experten und erfahren Sie mehr zu PROJEKT PRO.